Pastor Winkelmann

Gedanken zum Sonntag Misericordias Domini

Liebe Leserinnen und Leser,

als ich das letzte Mal auf der Insel Rügen zu einer Fortbildung in der begleitenden Seelsorge war, kam ich an einer Wiese vorbei, auf der eine Herde Schafe graste. Eines davon legte sich gemächlich auf den Rücken, streckte alle vier Beine gen Himmel und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Das war so bizarr, dass ich laut loslachte.

Was für ein komisches und gleichzeitig entspanntes Vieh auf der Wiese. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ein Schaf, ja, aber in seiner Haltung irgendwie überraschend menschenähnlich.Lamm
Als ich nun im Predigttext für den Sonntag Misericordias Domini - Barmherzigkeit des Herrn - die Worte „seid ihr herumgeirrt wie Schafe“ las, fiel mir diese Begebenheit wieder ein.

Der Text steht im 1. Petrusbrief im 2. Kapitel:
Christus hat für euch gelitten, und er hat euch ein Beispiel gegeben, dem ihr folgen sollt.
Er hat keine Sünde getan; keine Lüge, kein betrügerisches Wort ist je über seine Lippen gekommen.
Wenn man ihn beschimpfte oder misshandelte, hat er es ohne Widerspruch ertragen; denn er wußte, daß Gott ein gerechter Richter ist und seine Sache vertritt.
Christus hat unsere Sünden auf sich genommen und sie selbst zum Kreuz hinaufgetragen. Das bedeutet, daß wir frei sind von der Sünde und jetzt leben können, wie es Gott gefällt. Durch seine Wunden hat Christus uns geheilt.Ratlos und ohne jede Orientierung seid ihr herumgeirrt wie Schafe, die sich verlaufen hatten. Aber jetzt habt ihr zu euerm Hirten zurückgefunden, zu Christus, der euch auf den rechten Weg führt.

Liebe Leser,

eins ist mir klar geworden: Schafe sind nicht gern allein. Sie sind Herdentiere und brauchen den Kontakt zueinander. Da gleichen sie uns Menschen, ohne dass es uns überrascht. Auch wir sind keine Einzelgänger. Gerade jetzt merken wir das besonders - und wir versuchen uns durch diese Pandemie zu bewegen ohne  einen von uns zu verlieren. Das ist gut so. Das ist auch christlich. Jeder Mensch soll die Möglichkeit haben zu leben und sein Ziel zu erreichen. Aber wir spüren, dass wir Führung brauchen, damit wir in der Gefahr nicht kopflos durcheinander laufen und planlos handeln. Da ähneln wir den Schafen: Wir sehnen uns nach Führung. Die gibt es aber in zwei Varianten. Die erste ist - um beiden Schafen zu bleiben - der sprichwörtliche Leithammel. Die zweite ist der Hirte. Der Leithammel führt, wenn die Herde sich selbst überlassen ist. Er macht seine Sache, so gut er kann, aber er ist selbst ein Schaf. Wussten Sie, dass Schafe nur sehr eingeschränkt sehen können, aber dafür sehr gut hören? Der Hirte ist selbst kein Schaf, er überblickt die Lage viel umfassender und kann auch einzelnen Tieren, die sich verirrt haben, gezielt nachgehen und helfen. Und mit seiner Stimme hält er dennoch Kontakt zu den anderen Schafen der Herde.

In Situationen, in denen Rat, Leitung, Trost und Hoffnung erforderlich sind, brauchen auch wir verlässliche und treue Hirten.
Jesus sagt von sich selbst:

Ich bin der gute Hirte.
Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie,
und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.

Jesus ist der Hirte - das gute Vorbild. Unser Predigtabschnitt macht uns deutlich, welche Eigenschaften ein guter Hirte hat, zu dem man Vertrauen haben kann:

  1. Er lügt und betrügt nicht: auch wenn die Lage nicht angenehm ist und Einschränkungen und Opfer erfordert, handelt er nicht zum eigenen Vorteil, sondern dient der Wahrheit und dem Wohl der Gemeinschaft.
  2. Er wird nicht zum Täter und schlägt nicht zurück, auch wenn er misshandelt und beschimpft wird: er setzt sich für liebevoll für seine Gemeinschaft ein, auch wenn er von ihren Mitgliedern angefeindet wird.
  3. Er nimmt unsere Verfehlungen auf sich und geht für uns bis ans Kreuz: er setzt sein eigenes Leben ein und übernimmt die Verantwortung für unsere Fehler, um uns zu schützen und zu entlasten.
  4. Er heilt andere durch seine eigenen Wunden: wenn jemand nicht weiterkann, bleibt er bei ihm und kümmert sich um seine Schwierigkeiten und Verletzungen. Keiner bleibt auf der Strecke. Alle sollen gerettet werden.

 Wenn ich diesen Maßstab an unsere Führungseliten legen und nachmesse, wird klar: es ist uns Menschen unmöglich, dieser Beschreibung zu entsprechen. Wir bleiben voller Unzulänglichkeiten, Fehler, Ecken und Kanten.  Wir sind wie die Schafe und brauchen den guten Hirten. Wenn wir auf seine Stimme hören, wird er uns leiten: gerade jetzt erlebe ich Menschen, die auf ihre Weise in dieser Ausnahmesituation ihre Verantwortung in die Hand nehmen und dabei andere mit auf den Weg bringen. So geschehen gute, hilfreiche Projekte. Eine Hoffnung keimt auf, dass ein Leben mit dem Virus möglich ist, dank guter Leitung und durch den Beistand und die Kraft, die in unserer Gemeinschaft freigesetzt wird. Ich bin froh, nicht in eine zweifelhafte Herdenimmunität hineingetrieben zu werden, sondern mit Bedacht einen Weg gehen zu können, der zwar schwierig ist und mich einschränkt, aber dafür Chancen für alle eröffnet. Wir gehen unseren Weg gemeinsam und mit Vernunft - Gott sei Dank! Jesus Christus ist und bleibt für mich der Maßstab für gute Leitung. So gehe ich jetzt in die Zukunft und hoffe, dass auch unsere menschlichen „Leithammel“ ihren Weg nach seinem Vorbild suchen. Vielleicht berühren wir hier das Geheimnis des Glaubens:

Der gute Hirte ist da – ich bin nicht allein und er leitet mich.
Wenn meine Kraft erschöpft ist und mir die Beine weg knicken, trägt er mich nach Hause. Ich habe die Fähigkeit und Möglichkeit, seine Stimme zu hören und ihm zu folgen.    Amen

Ich wünsche Ihnen einen schönen und gesegneten Sonntag. Bleiben Sie behütet.

Ihr Pastor Fredt Winkelmann

 

PS: Wenn diese Krise vorbei ist, werde ich das Schaf von Rügen gar nicht mehr so lächerlich finden. Ich freue mich darauf selbst auf der Wiese zu liegen, alle Viere von mir zu strecken und die neue Freiheit, das Durchatmen und das „nahe” Gespräch mit Freunden und Bekannten zu genießen.

 

 

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